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Informationen für Angehörige

Wenn sich ein geliebter Mensch selbst verletzt, hinterlässt das bei den Angehörigen oft Hilflosigkeit, Angst, Schuldgefühle oder Wut. Diese Gefühle sind vollkommen Normal! Wichtig ist es, nichts zu überstürzen und sich zu informieren. Und dafür bist du hier.

 

Diese Seite richtet sich an Angehörige, die verstehen wollen und Betroffenen mit Selbstverletzendem Verhalten helfen möchten.

Was ist selbstverletzendes Verhalten?

Selbstverletzendes Verhalten (SVV) bedeutet, dass sich jemand wiederholt und absichtlich verletzt – z. B. durch sich Schneiden, Kratzen oder Schlagen – ohne die Absicht, sich das Leben zu nehmen. Es handelt sich also nicht um einen Suizidversuch, auch wenn das Verhalten sehr beunruhigend wirken kann.

Heute spricht man nicht mehr von Selbstverletzendem Verhalten, sondern von: Nicht-Suizidalem-Selbstverletzendem-Verhalten (als NSSV abgekürzt).

NSSV beginnt typischerweise im Alter von 13 bis 14 Jahren und betrifft häufiger Mädchen als Jungen. Es ist häufig eine Reaktion auf eine Psychische Belastung, wie eine Psychische Erkrankung.

Wieso verletzen sich Menschen selbst?

Selbstverletzendes Verhalten kann viele verschiedene Gründe haben.

 

NSSV erfüllt ganz bestimmte Funktionen, die aus Sicht der betroffenen Person im Moment hilfreich sind, auch wenn sie aussenstehend schwer nachvollziehbar wirken können.

 

Die häufigsten Ursachen für das Selbstverletzende Verhalten sind:

Abbau von innerer Anspannung oder starken Gefühlen
(z. B. Wut, Angst, Leere - Häufig liegt hier eine Psychische Erkrankung zugrunde!)

Selbstbestrafung, wenn jemand viel Schuld auf sich geladen hat oder wertlos fühlt (häufig bei Mobbing, Sozialer Ausgrenzung, Einsamkeit oder bei einer Depression)

Wieder Kontrolle spüren, z. B. nach Phasen innerer Taubheit oder Dissoziation (wenn alles unwirklich erscheint, auch hier liegt häufig eine Psychische Erkrankung zugrunde)

Vermeidung von Suizid bei Suizidgedanken (NSSV wirkt also wie ein "Ventil", um "Luft" abzulassen und ggf. Suiziddränge zu überspielen)

Hilferuf nach aussen – in der Hoffnung, dass jemand erkennt, wie schlecht es einem geht (Auch hier liegt häufig eine Psychische Erkrankung zugrunde)

Kurzzeitig positive Gefühle erleben, z. B. Erleichterung, Ruhe oder das Gefühl noch ein Mensch zu sein (z.B durch den Schmerz oder das Blut)

Abgrenzung von anderen, um sich „besonders“ oder „anders“ zu fühlen (nennt man Soziale Individualisierung, häufig liegt hier ein Gefühl des "nicht-gesehen-werdens" zugrunde!)

Nachahmung, weil man es z. B. von anderen gelernt oder gesehen hat (Hier spielt leider Social Media eine grosse Rolle)

Wichtig:


Selbstverletzendes Verhalten ist sehr häufig ein Symptom einer Erkrankung, die ernst genommen und ärztlich behandelt werden muss! Neuerdings gilt das NSSV sogar als eigenständiges Krankheitsbild, dass diagnostiziert werden kann.

Was kann ich als Angehörige:r tun?

Als Angehörige:r kann man sich schnell überfordert fühlen. Viele wissen nicht, wie sie reagieren sollen oder haben Angst, etwas falsch zu machen.

 

Wichtig ist es zu wissen: Selbstverletzendes Verhalten ist Ausdruck von innerem Leid. Es ist kein Ausdruck von Schwäche und meistens kein Versuch, „nur Aufmerksamkeit“ zu bekommen.

 

Reagieren daher möglichst ruhig und mit Mitgefühl. Vermeide Schuldzuweisungen, Ausüben von Druck oder Strafen, all das kann das Verhalten deutlich verstärken.

Nimm die Verantwortung nicht auf dich! Mach dir deine Rolle klar (z.B Elternteil, Freund*in, Lehrer*in etc.) und sprich die Person in einem passenden und ruhigen Moment an.

Ein guter Gesprächseinstieg könnte sein:

„Du machst auf mich in letzter Zeit einen sehr traurigen Eindruck. Mir sind auch deine Wunden aufgefallen. Wenn du magst, kannst du mit mir reden. Ich höre dir gerne zu und wir können gemeinsam eine Lösung finden..“

Es hilft, zuzuhören und das Gegenüber ernst zu nehmen. Zeige, dass du da bist und der Person helfen möchtest.

Reagiere verständnisvoll auf Abweisungen. Es ist oft nicht einfach über dieses Thema zu sprechen. Eine Beraterin des 147 (für Jugendliche) oder 143 (für Erwachsene) oder bei einer Beratungsstelle kann unterstützen.

Erkläre der Person, dass das Verhalten häufig bei psychischen Erkrankungen vorkommt und biete der Person an, sie zum Hausarzt zu begleiten, um zu schauen, wie ihr am besten geholfen werden kann.

Das wichtigste ist: Nicht sofort „helfen“ wollen. Zuhören ist der erste und wichtigste Schritt!

Kontrolliere die betroffene Person nicht auf Wunden! Das ist ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre.

Achte vielmehr auf mögliche Anzeichen, wie wiederkehrende Wunden an Armen, Beinen oder Händen, langes Tragen von Kleidung auch bei Hitze, Sozialer Rückzug oder starke Stimmungsschwankungen, sowie Schlafstörungen.

Besonders aufmerksam sollten man werden, wenn sich die Verletzungen häufen, gefährlicher werden oder die betroffene Person von Lebensmüdigkeit spricht.

 

In solchen Fällen ist es wichtig, möglichst schnell ärztliche oder psychologische Hilfe zu holen. Bei akuter Gefahr - wie bei Suizidäusserungen - darf und soll auch ohne Zustimmung der Person gehandelt werden, zum Beispiel durch eine Vorstellung in der Notfallstation des nächsten Spitals oder durch das hinzuziehen des Rettungsdienstes (144) oder der Polizei (117).

Die Person hat professionelle Hilfe! Wie geht es nun weiter?

Die Behandlung von selbstverletzendem Verhalten richtet sich in der Regel nach der zugrunde liegenden psychischen Erkrankung, falls eine solche vorliegt. Es gibt keine spezifische Tablette gegen NSVV. In den meisten Fällen hilft eine Psychotherapie, bei der Betroffene lernen, Gefühle anders zu verarbeiten, andere Wege zur Beruhigung zu finden und ihre Probleme anders zu lösen als durch Selbstverletzung.

Als Angehörige:r ist es wichtig, auch auf sich selbst zu achten. Es ist in Ordnung, überfordert zu sein oder an eigene Grenzen zu stossen. Holen Sie sich gegebenenfalls Unterstützung – bei Beratungsstellen, in Selbsthilfegruppen oder durch Gespräche mit Fachpersonen. Niemand muss diese Situation allein bewältigen.

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